Es waren sehr sanfte Worte, die Lotus von Ray hörte, sie vermittelten ein Gefühl, welches er seit langem nicht genießen dürfen hatte. Nach all den Monden wieder mit seinem ehemals besten Freund vereint zu sein war immerhin lange Zeit sein größter Wunsch gewesen. Wie oft hatte er davon geträumt, wieder mit Ray gemeinsam über den Laborboden zu tollen und Unfug zu stiften. Wie viel Trauer hatten ihm diese Gedanken gebracht angesichts der Wahrheit: All die Monde war Ray nicht für ihn da gewesen. Diese Bitterkeit konnte auch durch die Worte des Katers nicht einfach weggeschwemmt werden. Und so sehr Lotus auch versuchte, sie zu ignorieren, so sehr er sich einreden wollte, dass es von nun an wieder anders sein würde, sie versäuerte dennoch den Moment. Die Kindheit war vorbei und diese Tage würden niemals wiederkehren. Vertrauen hatte plötzlich eine ganz andere Bedeutung, einen ganz anderen Umfang. Mit einem Mal wurde Lotus klar, welches Ausmaß seine und Rays Worte hatten und einmal mehr brach die Frage an die Oberfläche, die Lotus gerne ignoriert hätte: Konnte er und wie weit konnte er Ray wirklich vertrauen? Für Lotus bedeutete es keine großen Opfer, sich an Rays Seite zu stellen und ihn zu unterstützen. Doch würde Ray seinen Status riskieren und ihn in Schutz nehmen, wenn es darauf ankam? Würde er sich auf seine Seite schlagen, sollte der Konflikt mit 278 oder womöglich noch anderen Wächtern erneut eskalieren? Seine eigenen Worte hallten in seinem Kopf wider: Bei der Wahl zwischen Familie oder Freund und Bestrafung - wer würde sich nicht für die Familie entscheiden? Es war eine schmerzliche Erkenntnis für Lotus, doch sie war unumgänglich. Worte und Versprechen hin oder her, sollte es darauf ankommen, konnte er sich auf Ray nicht verlassen. Noch nicht, hoffentlich. Vielleicht konnte ihre Freundschaft in der Tat wieder aufleben. Doch für den Moment musste Lotus sich darauf vorbereiten, seinen Weg im Zweifel doch allein gehen zu müssen. Er musste die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen und unvoreingenommen in die Zukunft schreiten.
Die Stille, die zwischen den beiden lag, war friedlich und fühlte sich wie eine Ewigkeit an, als Lotus sie schließlich brach: "Ich... danke dir." Lotus Stimme war rau. Zumindest in diesem Moment war Ray für ihn da und schrieb ihn nicht einfach ab. Das war auch etwas wert. Ray hatte in jedem Fall eine Chance verdient, unabhängig davon, wie viele er vielleicht in der Vergangenheit verstreichen lassen hatte. "Heute ist zweifellos eine Zeit angebrochen, in der wir den Sturm vor unseren Türen schon spüren können und in der eine Spannung in der Luft liegt, die droht in einem zerstörerischen Blitz die Welt zu zerstören - deshalb bin ich froh, dass es die Spannung zwischen uns nicht länger geben muss. Lotus erhob sich und tauschte einen tiefen Blick mit Ray aus, gab Ray noch einmal die Gelegenheit, zu antworten, ehe er nickte und sich in Bewegung setzte. Und ein warmer Schauer lief ihm über das Fell, als Rays Schnurrhaare seine Flanke striffen und ihm einen kleinen Stromschlag verpasste.
Out: Wenn du nicht noch das Play extenden oder einen Outropost schreiben willst, würde ich an der Stelle vorschlagen, die Szene zu schließen, was meinst du @Fledermaus?
Ganz anders. Und doch gleich. Lotus konnte sich nicht wirklich ein Bild machen von dieser Welt außerhalb des Labors. Schon allein ihre Ausmaße überstiegen, nach dem, was man so aus Erzählungen hören konnte, seine Vorstellungskraft. Viel wusste Lotus ohnehin nicht von dem Jenseits der Betonwände. Ob er diese Welt vielleicht eines Tages erfahren würde? Manchmal fragte sich Lotus, ob das Labor allein durch seine Beschaffenheit schon Katzen, die draußen geboren waren, missfiel. Oder ob es nur die Zustände waren, die die Gesellschaft hier barg? Aber wenn die Zustände draußen doch so gleich waren... - das würde erklären, warum sich so wenig Katzen gegen die Hierarchie aussprachen und warum Fluchtversuche aus dem Labor auch nur selten in Betracht gezogen wurden: Alles hier war nichts neues für sie. Trotzdem konnte Lotus den Glauben an eine freundliche Welt nicht aufgeben. "Es ist so traurig, dass wir die Welt nur so kennen", entgegnete er Yuna. "Es werden doch nicht wir die einzigen Katzen sein, die sich eine bessere Welt wünschen, oder? Wenn es draußen noch nicht einmal besser ist: Wo kann man hingehen, um diesem Traum wenigstens ein Stückchen näher zu kommen?" Ich glaubte an eine Welt und sie sagten, diese Welt kann niemals Realität werden. Ich glaubte an Engel, an himmlische Wesen, und sie sagten, diese Gestalten sind frei erfunden. Ich glaubte an die Vernunft, das Ehrgefühl, den Friedenswunsch meiner Mitkatzen, und sie sagten, Verrat ist normal, ein Mittel der Selbsterhaltung. Sind es wirklich alles Träume, Utopien, Surrealitäten? Haben sie Recht mit ihren Aussagen? Und doch sehe ich so viele Katzen, die sich dasselbe wünschen wie ich. Die sich hoffen, jene Welt zu erfahren und in Frieden und Vertrauen zu leben. Ich kann die Hoffnung nicht aufgeben, dass diese Katzen eines Tages die Gesellschaft formen und mit ihren Idealen diesem Traum näher kommen, als es die heutige Welt je tun könnte.
Es dauerte nicht besonders lange, bis 306 das Licht wieder einschaltete und Lotus seine Umgebung weitgehend unverändert wiederfand. Das war leicht. Lotus musste sich eingestehen, dass er in der Tat erleichtert war, einen Kampf mit dem Kater vermieden zu haben. Ein weiterer Kampf tat ihm nicht gut und auch das Labor hatte heute schon genug davon gesehen. Trotzdem konnte man das doch als Sieg werten, oder? 306 hatte in der Zwischenzeit 278 als weiteren Gesprächspartner gefunden. Unangenehm nah striff der ältere Kater an ihm vorbei und gab ihm dabei mit seiner Schulter einen Stoß in die Seite. Dass sein Vokabular für den Kampf zwischen 278 und ihm nicht über den Begriff "Abreibung" hinausging, ärgerte Lotus zwar - der Kampf war immerhin nur deshalb einseitig gewesen, weil Lotus sie ursprünglich nicht verletzen wollte - doch die Entgegnung der Kätzin tat Lotus für den Moment genug. Doch da war noch etwas anderes, was Lotus beschäftigte und verhinderte, dass er sich weiter hitzköpfig in der Diskussion engagierte: Die Miene von 200. Die Enttäuschung, die mit dem Blick einherging. Diese Augen, sie gehörten nicht nur 200, sie gehörten auch Charon, und sie sagten ihm, dass er jetzt ganz dringend aufhören musste, wollte er sie noch einmal so sehen wie die letzten Monde. Aber warum? Lotus hatte doch nichts gemacht. Was konnte er schon dafür, dass Double-F und 311 sich an die Kehle gingen? Dass 306 sich dachte, er könnte ihm zeigen, wo der Hammer hängt? Den Kampf mit 278 hatte auch nicht er begonnen, doch dafür konnte er sich zumindest in einer Teilverantwortung sehen. Sag mir, was ich falsch mache, Charon. Doch Lotus konnte sehen, dass 200 gerade nicht in der Situation war, in der sie sich mit Lotus mehr als mit den anderen beschäftigen konnte. Sie hatte mit 311 und ihren anderen Wächtern genug zu tun. Sie würde später noch einmal auf ihn zu kommen. Hoffentlich. Deshalb neigte Lotus den Kopf in Charons Richtung, ließ die beiden Wächter stehen und entfernte sich aus dem Geschehen.
"Yuna." Sie hatte es erkannt. Lotus interessierte sich nicht für die Nummern, die die Katzen im Labor anonymisierten. Sie waren so unpersönlich, offiziell, fast so, als würde man seine alltäglichen Lebensgefährten mit "Sie" ansprechen. Es war Yuna's Entscheidung, ob sie dem Kater das Vertrauen entgegenbringen wollte, das der Name barg - sie entschied sich dafür. Ja, jetzt sprachen sie dieselbe Sprache. Oh ja, er erinnerte sich an das Leben vor ihrem eintreffen: Es war genauso wie heute, nur hatte es nicht gleich gesehen. "Früher war alles viel besser. Die Wächter brachten die Katzen, die sich in der Kanalisation verirrten und den Weg zurück nicht mehr fanden, wieder in ihr Nest. Sie kümmerten sich darum, dass die Kranken und Schwachen kein schlechtes Leben hatten. Wenn es einen Unfall gab, wurde dieser aufgeklärt. Vertrauen spielte noch eine Rolle - woher sonst der Titel 'Vertrauter'? - Ja, als Kind glaubte ich noch an all diese Geschichten. Ich bin hier geboren, ich kannte es nicht anders. Dann wurde meine Mutter getötet. Und ab dann veränderte sich zwar nichts im Labor, doch ich begann, die Dinge so zu sehen, wie sie waren. So, wie sie heute sind. Ich kann dir sagen, es hat sich nichts verändert, es wurde nichts gelernt. Die Starken töten immer noch die Schwachen, verursachen Leid ohne Grund, gegen den Willen des Betroffenen. Doch heute Nacht scheint dies zum ersten Mal nach hinten losgegangen zu sein." Es war keine Schadenfreude, die in Lotus Stimme mitschwang, es war auch nicht Erleichterung. Lediglich die Tatsache, dass Lotus seit langem wieder einen Sinn sah, eine Chance, die Dinge tatsächlich näher an die Utopie heranzubringen, die er sich erträumte. Es musste ja keine absolute Nächstenliebe oder Vertrauen herrschen oder jedem uneingeschränkte Freiheiten gewährt werden - Fairness und weniger unnötige Gewalt war schon ein guter Anfang. Ein System, das Chancengleichheit und Gerechtigkeit vertrat, wäre eine so massive Verbesserung, dass es sich wahrscheinlich für viele schon wie das Paradies anfühlen würde. "Erinnerst du dich an die Zeit vor dem Labor? Weißt du, ich kann es mir so schwer vorstellen, wie die Welt dort draußen aussehen mag. Ist es dort genauso, mit Rivalität, Konkurrenz, Kampf um Respekt oder Futter oder das Überleben, wo man hinsieht?"
Lotus spürte, wie sich die Anspannung in 613 langsam löste. "Im Vergleich zu hier ist draußen das Paradies...", begann sie von ihren Eindrücken von jenseits des Zauns zu schwärmen. Gespannt hörte Lotus zu. Es wurde ihm wahrlich warm ums Herz, so lebhaft war die Beschreibung von der Freiheit, der Natur, und der Familie, die der Clan sei. Lotus lehnte sich noch ein wenig näher an 613, bis sich ihre Seiten berührten. Ja, es klang wirklich nach dem Paradies. "Ich wünschte, zumindest das System hier wäre so wie im Clan... Ich meine, gibt es hier denn niemand anderen, der Liebe und Fürsorge präferiert!? Wie konnte es so weit kommen, dass Gewalt und Angst als normal angesehen wird!?" Lotus nahm sich ein paar Augenblicke Zeit, bevor er eine Antwort gab: "Ist es nicht ironisch? Ich träume von einer Welt aus Liebe, Vertrauen und Frieden. Einer Welt, in der man sich um die Schwachen sorgt und die Starken respektiert. Es wird als Utopie abgetan, als Kindheitstraum, der niemals der Realität entsprechen kann. Und doch scheint sich genau so eine Welt hinter den Mauern dieses tristen Gebäudes zu befinden." "Ich bin hier im Labor geboren, musst du wissen. Für mich waren die Zustände hier schon immer so, ich kannte nichts anderes. Als Kind träumte ich nicht von Friede und Freude, sondern davon, alle anderen im Kampf zu besiegen und die stärkste Katze der Welt zu sein. Es wird den Katzen seit Jahren so eingebläut: Der Stärkere verdient das Leben und hat das Recht, die Schwächeren zu unterdrücken Das Labor ist, so wie es jetzt ist, gemacht für die Katzen, die genauso ihr Herz unterdrücken und verschließen vor dem Licht der Sonne und so zu den mitleidlosen Monstern werden, die Vertrauen als Schwäche ansehen, weil sie in dauernder paranoider Angst leben, ausgenutzt oder verraten zu werden. Ich beneide sie nicht, sag ich dir." "Und doch gibt es Katzen, für die Liebe und Fürsorge einen hohen Stellenwert hat, auch unter den oberen. Als meine Mutter den gewaltsamen Tod fand, nahm mich Charon - 200 - zu sich auf in ihre Familie, und sorgte sich um mich wie um ihre eigenen Kinder. Deshalb habe ich jetzt, nach 001's Tod, die Hoffnung, dass die Zeiten besser werden. So traurig es ist, dass eine Katze dafür sterben musste, dass erst wieder der Krieg ausbrechen muss, um den Frieden wiederentdecken zu können..."
Manchmal konnte Lotus andere Katzen einfach nicht verstehen. Es lag auf der Hand, dass die Kätzin vor ihm etwas auf dem Herzen hatte - eine Vergangenheit, die sie heute noch belastete, ihr Angst bereitete oder Trauer... doch sie wollte diese Last nicht teilen, sie glaubte nicht einmal, dass der Himmel selbst sie ihr erleichtern würde, geschweige denn die Katzen um sie herum. Dass sie die Engel nicht sah - nun, Lotus gewöhnte sich daran, dass sein Vertrauen in die Himmelsgeister nicht verstanden wurde. Trotzdem konnte Lotus es ihr natürlich nicht übel nehmen. Es war immerhin ihre eigene Entscheidung, ob sie alleine gegen das Gewicht kämpfen wollte oder sie mit anderen gemeinsam stemmen. Lotus hatte ihr seine Melancholie bereits erklärt - und er fühlte sich auch schon wesentlich besser als vor dem Besuch des Engels. Mehr tun als die Tür öffnen konnte er nicht - in das Haus hineingehen musste die Kätzin immer noch selbst. "Du meinst 711?", antwortete die Kätzin auf seine Frage nach ihrem Namen. Schade. Lotus hatte gehofft, sie würde ihm ihren Namen verraten. Oder zumindest einen offensichtlichen Hinweis darauf geben, so wie er es getan hatte. Aber anscheinend war für 711 jede Information, die ein anderer über sie hatte, eine Gefahr für sie. "Ah, 711 also." Lotus Stimme klang etwas enttäuscht, fast schon gleichgültig. Dann setzte er ein freundliches Lächeln auf und fügte noch hinzu: "Ja, dann: Freut mich, dich kennenzulernen, 711. Wie lange bist du schon hier im Labor?"
The Problem with strong emotions like love and grief is: They do not sound severe. You hear stories from others and you can be as rational as possible - in the end, you will be unprepared anyways.
Ja, da war er wieder: Der Sinn des Lebens. In dieser Zeit schienen wohl einige Katzen auf der Suche nach diesem zu sein. Und Lotus konnte es verstehen. Was war denn der Sinn des Lebens im Labor? Ums Überleben kämpfen? Die Art und Weise, mit der man ums Leben kämpfte, war nicht besonders schön: Man kämpfte nicht um Nahrung, um Wasser, um ein Dach über dem Kopf. Man kämpfte um Vorherrschaft - ein völlig unnötiges Konzept. Und wieder gelangten sie zu dem Punkt, den Lotus schon vor 711 vorgebracht hatte: Was dem Labor fehlte, waren die sozialen Werte, Liebe, Vertrauen, Freundschaft. "Ich wünsche mir, dass das Labor zu einem Ort der Freundschaft, des Vertrauens und der Ehre wird und nicht zu einer Wolke von Hass, Neid und Verrat. Zu einem Ort, wo Freundschaft und Liebe nicht mehr als Schwäche gilt. Dann ist das Labor nicht nur ein Zuhause, sondern ein Paradies." Er erinnerte sich an die Worte, die er heute Mittag vor 278 und 613 gesagt hatte. Lotus rückte etwas näher an 613 heran, sodass seine Seite das schneeweiße Fell berührt. Er legte den Kopf seitlich zwischen die Vorderpfoten, sodass er die Kätzin halbwegs angenehm anschauen konnte, und legte den Schweif über ihren Rücken. Ein einfaches Zeichen des Mitgefühls. Es war so viel mehr als zu sagen: "Ich kann dich verstehen." oder: "Das hört sich schlimm an." Es waren eine Lüge, zu behaupten man könnte sich den Schmerz des anderen vorstellen. "Erzähl mir von den beiden. Von deiner Zeit vor dem Labor. Ich kenne nicht viele Katzen, die von draußen Erfahrungen haben - meine Mutter hat nie darüber geredet, und generell war es unter 001 gefährlich, von der anderen Seite des Zauns zu schwärmen. Wie ist es dort, wie sind die Katzen dort? Wie viele sind dort?" Vielleicht würde es 613 helfen, über die Vergangenheit zu reden. Einfach jemand zu haben, der zuhörte, nicht verurteile und auch nicht beurteilte, was man sagte.
613 sah wirklich überhaupt nicht gut aus. In diesem Zustand kam sie schon fast an Lotus heran, nachdem er seine Mutter tot aufgefunden hatte. Ein Zustand, in dem der eigene Wille so schwach war wie ein kleiner, dürrer Zweig, der vom Baum abgebrochen war und beim kleinsten Druck zerbrach, der vom Wind durch die Gegend geschleudert wurde, der keine Bedeutung mehr hatte. Wen hatte sie verloren? Zum Glück kannte Lotus die Stellen gut. Die Orte, von denen aus man unbemerkt die Gespräche der anderen mithören konnte, waren die eine Sache. Die Orte, an denen man seine Ruhe hatte und keiner einen unbemerkt beobachten konnte, eine andere. Lotus kannte sie beide. Oder zumindest einen großen Teil. Was man eben so alles lernt, wenn man monatelang unauffällig bleiben will. 613's Gestik suggerierten, dass Lotus den Weg weisen sollte, wohl aus beiden Gründen. Es gab da ganz in der Nähe des Außenbereichs zum Beispiel eine recht ruhige Ecke - geschützt von der Tür, doch üblicherweise gab es keinen Grund dorthin zu gehen. Zumindest im Winter, da waren die Zellen alle leer, denn wer schlief schon gern im kalten Wind. Und zu sehen gab es da auch nichts, daher war der Ort auch grundsätzlich uninteressant. Sogar im Sommer hatte Lotus kaum jemand in diesem Bereich des Labors gesehen, selbst unter der Tatsache, dass die Zellen in dieser Zeit sehr viel nachgefragter waren. Der Boden ist dennoch recht kalt, stellte Lotus fest, als er sich niederließ. Er nahm eine tendenziell einladende Haltung ein, die es 613 jedoch noch erlaubte, zu wählen, wie nah sie sich zu ihm gesellen wollte, ohne dass es unangenehm wurde. Schließlich konnte er es ihr nicht verübeln, dass seine Vertrauenspunkte bei ihr nicht gerade einen Headstart hatten. "Ich kenne das Gesicht", begann der schließlich etwas zögerlich. Vor langer Zeit wurde meine Mutter getötet..." Seine Stimme erstickte. Lotus wäre zugrunde gegangen damals, wäre er nicht in die wärmenden Pfoten eines Engels gefallen. Charon. Der Moment war ihm in den letzten Stunden immer wieder ins Gedächtnis geblitzt. "Also, erzähl, wer wurde dir genommen?"
Die frische Wunde hatte neue Kraft in der Sandkätzin erweckt. Während Lotus nach seinem erfolgreichen Schlag noch versuchte, wieder den Überblick über seine Umgebung zu erlangen, wurde er von 278 angesprungen und völlig über den Haufen geräumt. Von der anderen Seite kommen stieß sie Lotus von den Beinen, bevor dieser auch nur die geringste Ahnung hatte, wie ihm geschah. Wo kam die denn jetzt auf einmal her? Die beiden schlitterten erneut durch die Staubwolke, bevor Lotus auf der Seite zum Liegen kam, 278 mit ihrem ganzen Gewicht auf ihm und beide Vorderpfoten auf seinem Schädel. Völlig verwirrt starrte Lotus auf die Flanke der Katze, auf der sich eine langgezogene, blutige Wunde auszeichnete. Bis zum Gesicht der Kätzin konnte er den Kopf unter ihrem Druck nicht drehen. Wären nicht die Wunde und die staubigen Pfoten eindeutige Indizien dafür, dass es sich tatsächlich um 278 handelte, wäre Lotus vermutlich überzeugt davon gewesen, dass eine andere Katze dem Kampf ein Ende setzen wollen hatte. Wie die Kätzin so schnell hinter ihn kommen konnte, war ein großes Fragezeichen in seinem Kopf, zumal die Wunde bewies, dass er sie unmittelbar davor in der Wolke tatsächlich getroffen hatte. "Ein ehrenvoller Krieger erkennt, wann es Zeit ist, sich geschlagen zu geben." 278's Stimme befand sich direkt an seinem Ohr, er konnte den warmen Atem der Kätzin spüren. "Ich hoffe, du weißt mein Geschenk zu schätzen." Mit einem Ruck stieß sich 278 wieder von seinem Rücken und entfernte sich eine Fuchslänge von ihm, gab ihm die Möglichkeit sich wieder aufzurichten. Der Staub, der noch immer um ihn in der Luft hing, brannte in seinen Augen und in den zahlreichen Kratzspuren, die seinen Körper zierten. Sie hatte Recht. Der Kampf war vorbei, und es war Zeit, die Wut hinunterzuschlucken und die Niederlage zu akzeptieren. Diesen Kodex würde Lotus niemals brechen. "Ein ehrenvoller Krieger erkennt, wann der Kampf gewonnen ist und keine weitere Gewalt erfordert", entgegnete Lotus rau. Respektvoll neigte er den Kopf in einer demütigen Geste. "Zu ehren ist das Recht des Stärkeren: Der Triumph ist Dein, dem Sieger gebührt die Macht über den Verlierer in Ehre. " So verharrte der Kater mit gesenkten Haupt, wartete auf die Antwort der Wächterin.
"Hey, ich meine es ernst. Ich kann gehen, wenn du es wünschst." Lotus konnte ihre Abweisung verstehen. Es war generell schon ein sensibles Thema, wenn man sich selbst in einem verwundbaren Zustand zeigte, doch hier im Labor waren die Risiken noch höher. Es war wieder genau dieses Problem, das Lotus auch schon vor 711 erwähnt hatte, was auch 278 in ihrer kontrovers verdrehten Form angesprochen hatte: Keiner vertraute irgendjemandem. Und das Problem war: Lotus ging es ähnlich: Sein Gespräch mit Ray war im großen und Ganzen enttäuschend gewesen. Ja, auf dem Papier waren sie wieder vereinte und versöhnte Brüder - doch die nächste Meinungsverschiedenheit war schon zu riechen. Ray hatte einfach nicht die gleiche Einstellung dem Labor gegenüber wie Lotus. Die unkontrollierten Bewegungen der weißen Katze vor ihm schockierten Lotus. Er kannte 613 nur oberflächlich, doch er hatte sie immer als eine fröhliche, herzliche Kätzin angesehen. Jetzt wirkte sie eher wie ein verschrecktes Junges auf der Suche nach Frieden und Geborgenheit. "Ich will weg", flüsterte die Kätzin. Hastig war Lotus einen Blick hinter sich. Nicht hier. Sie standen viel zu offen, als dass sie leichtfertig über dieses Thema reden konnten. "Lass uns eine etwas ruhigere Ecke suchen, und dann kannst du mir erzählen, was du meinst" wisperte Lotus mit einem freundlichen Lächeln zurück und wartete darauf, dass 613 den Weg wies.
Ja, Lotus verstand schon, dass man das Vieh nicht einfach hier lassen konnte. Es bestand einfach die Gefahr, dass eine der zahlreichen Katzen, die in diesen Tagen durch die Kanalisation streiften, dem Tier zum Opfer fallen würde. Doch Aufgeben und vor 769 als Feiglich dastehen wollte der dunkle Tiger auch nicht. Das stand also nicht als Option offen. "Gut, dann zeig mal, was du drauf hast. Ich fürchte, Krokodilweitwurf stand nicht auf der Liste der Disziplinen, die mir im Labor beigebracht wurden..." Selbst wenn der spontan ausgeklügelte Masterplan des Vertrauten nicht glücken würde, schätze Lotus die Karten für die beiden gut ein: Es könnte ein langer, zäher Kampf werden, doch solange sie das Maul des Gegners meiden konnten, sollten sie ihn überstehen können. Apropos: "Mit deinem Bein alles in Ordnung?"
"Oh no, sie hat nicht gegrüßt! Da kann man ihr schon mal eine reinbuttern." Lotus wusste, dass er in dieser Diskussion erneut die Oberhand hatte. Was nicht hieß, dass er unverwundbar war. "Klingt nach einer verhältnismäßigen Reaktion, findest du nicht? In der Zwischenzeit hatte 306 seine Position zwischen den Fronten aufgegeben und eine aggressive Haltung eingenommen. Langsam und bedrohlich bewegte er sich auf Lotus zu. Sein Grinsen verhieß nichts Gutes. Was hast du vor, 306. Was kommt jetzt? Lotus hatte keine Lust auf einen weiteren Kampf, weitere sinnlose Gewalt, die zu nichts führte, außer das 200's Position noch weiter geschwächt wurde, weil sich ihre Unterstützer als unzuverlässig und willkürlich herauskristallisierten. Dennoch war er bereit, sollte es dazu kommen. Seine Blick war konzentriert, mit jedem Blick, den 306 auf ihn zu machte, spannten sich seine Beinmuskeln mehr an. Plötzlich verschwamm das Bild von Deimos für einen Moment. Es sah so aus, als würde er plötzlich beginnen, auf ihn zuzustürmen, und doch zugleich die Geschwindigkeit beibehalten. Noch eine Fakekatzenfähigkeit? Waren die Staubkatzen noch nicht genug gewesen heute? Einen Moment zögerte Lotus, Annahmen zu treffen, welche der beiden Katzen der echte 306 sei und wie die Fähigkeit funktionierte. Doch 306 war nicht nur ein großmäuliger Feigling, sondern auch nicht wirklich mit viel Kreativität und Intelligenz gesegnet (das schienen wohl wichtige Bewerbungskriterien für die Wächterschaft zu sein): Er würde im Kampf nicht selbst vorpreschen und eine Illusion seiner selbst zurücklassen. Und während er noch überlegte, fiel Lotus auch der unheilvolle rote Schimmer auf der Silhouette des Katers auf, der auf ihn zugesprintet kam. Lotus reagierte so, wie es sich bei den Staubkatzen des Aspekts der Arroganz als effektiv herausgestellt hatte: Er sprang in die Katze hinein, kurz bevor sie ihn erreicht hatte. Ähnlich wie bei 278 löste sich der Doppelgänger auf und hinterließ effektiv keine Materie. Mit dem Ausschalten der Illusion richtete Lotus seinen Blick wieder auf 306. Der Kontakt hatte jedoch einen anderen Effekt. Mit einem mal verschwamm das Umfeld von Lotus und verschwand in einer dunklen Wolke - lediglich 306 war noch zu sehen. Angestrengt versuchte Lotus 306 scharf im Auge zu behalten, als sich eine leichte Benommenheit in seinem Kopf ausbreitete. Seine Ohren schienen plötzlich nicht mehr richtig zu funktionieren: Die Stimmen der umstehenden Katzen verstummten und gingen in ein rauschendes Wispern vieler Stimmen über. Lotus fokussierte sich auf die einzige, deutliche Information, die ihm gerade zur Verfügung stand: 306 selbstgefälliges, triumphierendes Gesicht. Sein Blick war lässig auf Lotus gerichtet. Und wieder verriet sich 306 selbst, ohne es richtig zu kapieren. Als 278 ihre Staubkatzen hervorbeschworen hatte, war da auch dieser Ansatz eines selbstgefälligen, triumphierenden Grinsens gewesen. Doch anders als 306 hatte sie konzentriert gewirkt - eine Notwendigkeit, wenn sie die anderen Katzen ihrer Fähigkeit steuern wollte, hatte Lotus impliziert. Lotus schloss daraus, dass 306 in seiner Fähigkeit wohl nichts zu steuern hatte. Das gab ihm eine gewisse Sicherheit. Vorsichtshalber beobachtete Lotus die Augen des Katers genau, während er sich breitschultrig vor dem etwa gleich großen, vor ihm stehenden Kater aufbaute. "Gibt es ein Problem, Mister Lichtaus?" fragte Lotus mit fordernder Stimme.
(Out: Pardon für minor Powerplay, wenn ich was ändern soll, schreib mir einfach direkt.)
Natürlich fühlte sich 278 sofort von Lotus angegriffen und musste auch prompt kontra geben. Die Überheblichkeit war wieder zurück, im Umfeld von 200 und den anderen Wächtern fühlte sie sich noch sicherer als in der Gesellschaft ihrer komischen Staubkatzen. "Diese Worte vernehmen wir alle gerade aus deinem Mund. Wir wissen doch bereits, wofür du stehst. Und das sind nicht 001's Werte." Lotus fletschte die Zähne zu einem breiten Grinsen: "001's Werte sind alt und verstaubt, sie waren schon von gestern, bevor er heute morgen von uns gegangen ist. 200 hat jetzt die Macht zu entscheiden, welche Werte in Zukunft von Bedeutung sind. Und sie hat selbst betont, dass sie nicht 001 ist." Lotus wandte sich wieder ab und richtete seinen Blick auf 200. Er war ihm etwas unangenehm, in ihrer Anwesenheit in ihrem Namen zu sprechen. Er selbst hatte ja schon nicht vollständig verstanden, was diese Werte, die Charon für wichtig empfand, genau waren. Deshalb wartete Lotus auf irgendeine Art von Rückmeldung von der roten Katze, sei es auch nur ein Blick, der ihm Zustimmung oder Ablehnung vermittelte. Auf jeden Fall würde er sich nicht länger mit der neunmalklugen Wächterin beschäftigen - sie würde die Wahrheit sowieso nicht anerkennen, wenn sie nicht in ihren Plan passte.
Der Kampf verlief ungefähr so, wie Lotus es erwartet hatte: Nicht wirklich zu seinen Gunsten. Zwar gelang es ihm gerade einigermaßen gut, den Schlägen der Staubkatzen auszuweichen und tiefe Wunden zu vermeiden, doch im großen Ganzen steckte er dennoch den einen oder anderen leicht schmerzhaften Schlag ein und allmählich fing es an, sich zu summieren. 278 hingegen erlangte ihr altes Selbstvertrauen zurück, eine ignorante, selbstsichere und überlegene Miene legte sich langsam über ihr Gesicht. Sie begann, Lotus zu verspotten, sich über seinen Kampfstil lustig zu machen. Dabei hatte Lotus noch gar nicht angefangen zu kämpfen. Natürlich war er keine Bedrohung für 278, wenn er sie gar nicht bedrohte. Vielleicht sollte er das ändern? War es das Wert? Mit Gewalt für eine gewaltfreie Zukunft kämpfen? Sollte Lotus versuchen, seinen Gegnern die Vernunft einzuprügeln, so wie 001 das versucht hatte? 278 hatte Recht: Bei ihm hatte das ja wohl nicht so gut funktioniert. Doch hier ging es um mehr. Lotus musste zeigen, dass er das Zeug dazu hatte. Dass er sich nicht von der ersten dahergelaufenen, frisch ernannten Wächterin ohne Gegenwehr ins Boxhorn jagen lassen würde. Er musste zeigen, dass er gewillt war, für seinen Traum zu kämpfen, nicht nur davon sprechen. Er musste beweisen, dass er nicht schwach war - sonst würde er niemals Verbündete gewinnen können, die ihn unterstützten. Instinktiv hatte sich Lotus einen Freiraum im Rücken geschaffen: Er stand nun fast neben 613 und dem Jungen, sodass 278 und ihre beiden übrigen Helfer nur noch von einer Seite angreifen konnten. Das machte die Verteidigung ein gutes Stück einfacher. "Bist du so eingeschüchtert, dass du mir den Sieg schenken willst, Kleiner?" 278 schien sich sicher zu fühlen. Doch mit der Konversation hatte sie sich verraten. Lotus hätte sonst bestimmt länger gebraucht, um herauszufinden, welche der drei Katzen die echte Wächterin war. Leichtfüßig wich Lotus einem weiteren Schlag von einer der Illusionskatzen aus. Allmählich wurden die Angriffe langsamer und unvorsichtiger. Eine kleine Bewegung nach rechts. 278 glaubte wohl, sie hätte den Kampf schon gewonnen. Ein Satz auf den Rücken der Staubkatze und sie zerstob in alle Richtung, ließ Lotus inmitten einer dichten Staubwolke stehen. Dabei hatte Lotus noch gar nicht richtig angefangen. Mit einem flinken Zurückweichen verhinderte er, dass ihn 278's blinder Sprung in den aufgewirbelten Staub traf. Wie vorhersehbar. Lotus hatte so viel Zeit, mit voller Wucht auf den Ansatz des rechten Hinterbeins der Kätzin zu schlagen, während diese perplex feststellte, dass er nicht zwischen ihren Krallen gelandet war. Tief gruben sich die Krallen des Katers in das Muskelfleisch und rissen das Fell entlang der Spuren herunter. Einen kurzen Augenblick spürte Lotus das warme Blut, bevor er die Pfote hastig zurückzog und sich wieder in eine defensive Ausgansposition brachte.
(Out: Da ich nicht mehr hundertprozentig genau weiß, was unsere Absprache war, beschwer dich, @Shahar, wenn es dir zu viel Powerplay ist. @Icespark, wenn wir dich skippen sollen, sag einfach Bescheid. Ich denke, außer einem Reaktionspost von Calli und vielleicht einem kurzen Konversationsfetzen wird nicht mehr viel passieren, bis Lotus sich vorsichtshalber aus dem Staub macht :))
Lotus beobachtete gespannt die Szene, die 306 eilig zu betreten vorhatte. Er kannte 311 nicht gut genug, um ihn einschätzen zu können, doch der erste Eindruck, den seine Auseinandersetzung mit Double-F hinterlassen hatte, sagte ihm, dass der Wächter einen kurzen Geduldsfaden zu haben schien. Irgendwie gab es ihm ein seltsames Gefühl der Genugtuung, dass die Wächter schon wieder mit allen vier Pfoten in einem Konflikt standen. Jetzt zeigen die ach so gerechten Verehrer des gefallenen Königs ihr wahres Gesicht Nicht, dass ihn das überraschte. Immerhin musste man sich jetzt profilieren. 306 hatte sich in der Zwischenzeit großkotzig zwischen 200 und 311 aufgebaut und wurde auch prompt von 311 blöd angemacht für sein Theater. 306's Aktion fand Lotus ehrlich gesagt etwas unnötig, denn es war schon nach 200's erstem Schlag absolut offensichtlich gewesen, dass sie keine Probleme mit ihrem Wächter haben würde - was Lotus tatsächlich verwunderte; er hatte damit gerechnet, dass 311 zumindest ein bisschen resilienter war. Vielleicht hatte ihn die Wunde von Double-F doch mehr geschwächt als man zunächst vermuten mochte. "Was passiert, wenn du das nächste mal nicht ganz du selbst bist, 311? Was passiert dann?" Idealerweise kommt es gar nicht erst dazu, dass 311 verletzt wird. Es wirft kein gutes Licht auf die Wächter, wenn sie überall ohne ersichtlichen Grund Kämpfe beginnen," kommentierte Lotus, der etwas abseits stehen geblieben war. Er sparte sich einen triumphierenden Seitenblick zu 278. Sie würde ihn sowieso hören. "Besonders nicht in den eigenen Reihen. Das schwächt die Position unserer Anführerin nur unnötigerweise."
306 hatte, genauso wie Lotus, nicht wirklich eine plausible Erklärung für 200's Aussage. Die Empfehlung, sich keinen weiteren Stress mit 278 zu leisten, war zwar gut gemeint, doch ein weiterer Kampf war ohnehin nicht das, was Lotus sich wünschte. Zumindest nicht jetzt. "Hattest du schon mal einen Alptraum, 705?" Lotus seufzte. "Manchmal habe ich das Gefühl, ich würde in einem leben. Ich denke, du hast recht, 306: Wir leben in ständiger Angst vor dem Tod. Doch ist es dann eine sinnvolle Gegenmaßnahme, dass Katzen willkürlich verletzt und getötet werden? Das verschärft doch die Angst nur noch. Ich weiß, dass nicht alle Katzen, die 001 gefolgt sind, so sind. Was mir Sorgen macht, ist, dass manche Katzen ungestraft mit mehreren Morden davon kommen, während anderen das Fell über die Ohren gezogen wird, weil sie einen Wächter nicht gegrüßt oder schief angesehen haben." Lotus Blick fiel auf 200 bei dem Versuch, 311 zu beruhigen. "Da hilft es auch nicht gerade, dass 200 ihren Wächtern hinterherlaufen muss. Nichts für ungut."
Die Wahrheit traf Lotus wie fallender Baum. Es war seine größte Angst gewesen, seit er von 001's Fall erfahren hatte: 200 würde nicht die Veränderung bringen können, die er sich wünschte. Er hatte gehofft, sie könnte sehen, wie das Labor aussah. Er hatte gehofft, sie würde verstehen, wie es all den Katzen ging, die sich nicht Wächter oder Vertraute nennen durft Er hatte gehofft, dass sie all denen eine Chance geben könnte, die im Labor niemals eine Chance gehabt hatte. Doch wie sie ihm so offen zeigte, dass er sich getäuscht hatte, und dabei so wirkte, als würde sie es nicht einmal bemerken, jagte Lotus einen wirklichen Schrecken ein. Er wollte nicht glauben müssen, dass sie genauso blind war wie 001. Dass sie die Zustände ignorierte oder sogar akzeptierte. Oder vielleicht lag es daran, dass sie sich nicht anmerken lassen wollte, dass sie, anders als 001, keine Kontrolle über die Wächter im Labor hatte? Dass 'ihre Anhänger' machten, was sie wollten, ihre eigenen Ziele verfolgten und ihr Banner nur als Legitimation verwendeten? Es konnte doch ohnehin jeder sehen, zumal 311 aus heiterem Himmel zu einem wilden Tier geworden war und sich mit seinem Verhalten vor dem gesamten versammelten Hofstaat zum Affen machte. Es war nicht die Tatsache, dass 200 ihn tadelte für den Aufruhr heute Mittag, was so wehtat. Auch wenn er nicht angegriffen hatte, konnte er sich wohl kaum die weise Weste anziehen. Auch nicht, dass er nicht zu den Katzen zählte, denen 200 Vertrauen schenkte - gut, dabei handelte es sich ja auch um die leere Menge. Oder dass sie seinen Humor nicht verstand. Was ihn wirklich verletzte war, dass seine Worte an 200 abprallten wie Hagelkörner auf Beton, nicht weil sie sie ignorierte oder anderer Meinung war, sondern weil sie sie nicht verstand. Und auch hier versuchte sie es wieder zu verbergen, indem sie sinnfreie Phrasen von sich gab und dann schnell offensiv das Thema wechselte. Wie armselig.
"Kannst du mir erklären, was sie meint?" fragte er an 306 gewandt. "Der Tod beherrscht das Leben und das Leben beherrscht den Tod?"
Noch während Lotus mit seinem Monolog beschäftigt war, eskalierte die Situation - schneller als erwartet. Leider hatte Lotus nicht genau mitbekommen, was 311 am Ende dazu gebracht hatte, die Initiative zu ergreifen und Double-F's Aufmerksamkeit mit etwas mehr Nachdruck zu fordern. Ehe sich Lotus versah hatte sich 311 ein drittes Ohr, einen Blick in die Sonne, eine einseitige Gesichtsrasur und zwei grandiose Spitznamen eingefangen - Von dieser Beute würde er noch längere Zeit etwas haben. Glücklicherweise hatte 311 das Sonnenlicht genau so blockiert, dass Lotus Pansa's Vergeltungsschlag zumindest halbwegs beobachten konnte. Die Verletzung erschien ihm schwerer als den Kratzer an seiner vorderen Flanke, den er gleich zu Beginn seines Kampfes heute Mittag erlitten hatte. Genauso wie Lotus hatte der alte Knacker den Angriff von 685 nicht kommen sehen und musste die volle Wucht des Schlages mit wesentlich weniger Glück als Lotus einstecken, ehe sich 685 noch einmal von ihm abstieß und sich eiligst aus dem Staub machte. "Nun", begann Lotus auf 306's Frage zu antworten. "Wie es scheint, entwickeln sich die Katzen des Labors weiter - die Wächter suchen jetzt anscheinend tatsächlich nach einem Grund, bevor sie einem an den Kragen gehen." Lotus schmunzelte. "Pardon für den grenzwertigen Sarkasmus. Ich kann es irgendwo verstehen, dass die momentane Situation reizbarer als sonst macht." Und mit Blick auf Triple-K - den Knackenden Krüppelkater - fügte er noch hinzu: "Das wäre dann heute wohl schon das zweite Mal, dass sich zwei Katzen die Köpfe einschlagen, obwohl sie für die gleiche Seite zu kämpfen behaupten. Doch ich bin da auch nicht ganz unbeteiligt." Ja, so war die Situation: Jeder war angespannt, jeder war gereizt. Die sinnlosen Kämpfe würden zunehmen in den kommenden Tagen. Und während die einen das Chaos in Form von hoher Reizbarkeit und Gewaltbereitschaft manifestierten, versanken die anderen in Depressionen, die in 001's Tod direkt oder indirekt einen Auslöser fanden. Der wirbelnde Schneesturm von draußen war hereingekommen und hatte begonnen, seine Kreise zu ziehen.
"Gut gesprochen, 200", mischte sich Lotus ins Gespräch ein, nachdem Double-F sich wieder aus dem Staub gemacht hatte. War ja doch ein ziemlich komischer Encounter, den sie hier produziert hat. Naja, so war sie eben, erst reden, dann vielleicht denken. Doch das war nicht, was in diesem Moment mehr Aufmerksamkeit als ein Zucken mit dem Mundwinkel verdient hatte. Es kam gelegen, dass die drei gerade mal eine gute Fuchslänge vor ihm ihr Gespräch gestartet hatten und ihn praktisch dazu zwangen, den Inhalt mitzubekommen. Fast so, als hätten sie ihn nach seiner Meinung gefragt. "In der Tat, du bist vielleicht nicht 001. Das ist die wichtigste Erkenntnis von allen. Doch diese Tatsache ist es auch, die das Labor spaltet. Jeder beginnt, für sich zu entscheiden, ob er oder sie auf deiner Seite steht, je nachdem, für was du stehst - selbst die Katzen, die am loyalsten 001 gegenüber waren, werden dir nur folgen, solange du für sie von Nutzen bist, solange du für das stehst, für das sie auch stehen. Doch machen wir uns nichts vor - wenn wir behaupten, jetzt wäre nicht der perfekte Zeitpunkt, um nach der Macht zu greifen, lügen wir uns doch selbst ins Gesicht. Ist nicht genau das der Grund für die Vorsicht und das Misstrauen? Und ehrlich gesagt besorgt es mich, dass noch niemand offen Opposition erhoben hat - es macht es schwer einzuschätzen, wie sich die Lager verteilen. Versteh mich nicht falsch, 200, du bist klug, stark und weise, Qualitäten, ohne die kein Anführer lange bestehen kann. Doch du wirst diese Zeit nicht alleine überstehen können, du wirst die Unterstützung brauchen. Von wie vielen Katzen weißt du sicher, dass sie dich verteidigen werden, egal gegen wen und wie viele du stehst? Es ist ein Trend geworden, mit phrasendreschen, leeren Versprechen und gespielter Loyalität Vertrauen zu heucheln." "Wie du selbst sagst, manche Katze mögen dich vielleicht fälschlicherweise für schwach halten und leichtfertig nach dem Thron trachten. Und unabhängig davon, ob diese Hardliner einen Punkt in ihrer Meinung haben oder nicht, für sie reicht es, dass du nicht 001 bist, um deine Autorität zu untergraben, denn für sie kannst du das Vermächtnis, das 001 hinterlassen hat, nicht fortführen. Doch lass mich dir sagen, es gibt auch viele Katzen, denen du Hoffnung gibst. Hoffnung, dass du das Reich, dass 001 mit eiserner Faust gebaut hat, zu einem Ort machst, an dem man sich nicht unterdrückt, sondern geborgen fühlt. 001 hat dieses doch so fragile System mit Angst zusammengehalten und ist am Ende gescheitert. Doch ich bin zuversichtlich, dass dieses Haus unter deinem Banner auf stabileren Ecksteinen stehen wird, und das Labor zu einem Ort werden kann, an dem man sich nicht vor Verrat und Gewalt fürchten muss. Wer lebt schon gerne in einem Reich, das durch die Drohung des Todes regiert wird?"
#Lotus#705 Angesprochen: eigentlich keinen, es ist ein Outropost Erwähnt: 093/Alma, Iris, 200/Charon
Die Symbolik des Engels schien auch an Alma abzuprallen wie ein Gummiball. Irgendwo ärgerte es Lotus schon ein klein wenig, dass seine positive Weltanschauung so oft belächelt wurde - anscheinend waren die Herzen der Laborkatzen verdorben, keiner glaubte mehr an das Gute, denn so viel Schlechtes übertönte wie scheppernder Lärm das Flüstern des Lichts. Auf der anderen Seite beneidete Lotus die anderen nicht darum. Immerhin hatten ihm die Engel stets Kraft gegeben, wenn er sie gebraucht hatte. Wieso sollten sie nicht auch jeder anderen Katze den Trost und die Energie spenden, wenn diese bereit waren, die Hilfe anzunehmen. Genau da lag aber das Problem in dieser Gesellschaft: Keiner war bereit zu helfen, keiner war bereit, Hilfe anzunehmen, keiner war bereit zu vertrauen... Lotus könnte die Liste gefühlt ewig fortsetzen. "Ich habe die strahlenden Sterne meiner endlosen Nacht gefunden." sprach 093 mit verklärter Stimme, während sie eine leuchtende Kugel in ihrer Pfote erschuf. Jeder muss wohl sein Glück selbst finden. Ich freue mich für jede Katze, die das tut. Ein geisterhafter Schmuck erschien um 093's Kopf und Körper und gab der Situation eine unbehagliche Mystik. Lotus sah die Geschichten, die die semitransparenten goldenen und blauen Objekte erzählten: Von einer glorreichen Vergangenheit, die 093 in ihrem ersten Leben durchschritten hatte; damals, als Ruhm und Ehre noch wichtigere Größen in ihrem Leben waren - und auch von dem Opfer, das sie ungewollterweise gebracht hatte. Für einen kurzen Moment, bis 093 ihm urplötzlich den eisig kalten Lichtball entgegenschob mit den Worten "Wärme dich in meinem Licht", ehe sie sich hastig abwandte und eilig in den Schatten verschwand. Obwohl der Kontakt mit der kalten Kugel Lotus einen Schauer über den Rücken jagte, der mehrmals reflektierte, war die Kälte mit nichts vergleichbar, das Lotus kannte. Es fühlte sich nicht an wie ein kalter Schneeball, der seine Flanke traf, oder der eisige Wind, der durch die Gänge zischte. Es war eine viel tiefere Kälte, eine, die nicht den Körper von außen traf, sondern vielmehr das Herz von innen. Lotus spürte die Bedrohung, dass ihm schwarz vor Augen wurde - doch anstelle von gähnender Dunkelheit, die ihm Rettung versprach, wenn er sich ihr hingeben würde, erblickte er einen weißen Punkt in greifbarer Nähe. Lotus klammerte sich ans Bewusstsein, als eine Erinnerung aus seiner Kindheit aufblitzte. Vertraute blaue Augen trafen ihn mit warmem Blick, er spürte den behaglichen Kontakt des roten Fells, und eine tröstende Welle fuhr durch seinen Körper, vertrieb die angespannte Kälte und die Trauer aus seinem Körper. Sie war damals der Engel gewesen, der Lotus zurück ins Leben geholt hatte, als er nach dem Tod von Iris, seiner geliebten Mutter, fast von innen heraus ebenfalls gestorben wäre. Es war einer der ersten Engel gewesen, die Lotus so real erlebt hatte, dass er es nicht mehr seiner Fantasie und seiner Einbildung zuzuschreiben vermocht hatte. Gerne hätte Lotus die Behaglichkeit der Vision genossen, doch anders als früher fühlte sich die Situation jetzt irgendwie nicht richtig an. Der Kern der kalten Lichtkugel war zwar warm, doch dieser warme Kern hatte einen noch kleineren, noch kälteren Kern. Eine Täuschung, kaum zu bemerken in dem kurzen Moment durch all den angenehmen und so vertrauten Sinneseindrücke hindurch. Bevor Lotus auch nur das kleinste weitere Detail ausmachen konnte, verschwand die Erinnerung in der Dunkelheit, die ihn umhüllte. Mit einem Mal gaben Lotus Beine unter ihm nach und er brach zusammen, als er sich dem Versprechen der Schwärze hingab.
Out: Die Szene endet hier offiziell. Danke an @Shahar für das unterhaltsame Gespräch, ich freue mich schon auf unsere nächste Szene Alma x Lotus am Abend. Um Missverständnisse vorzubeugen: Lotus erlangt nach einigen Sekunden wieder das Bewusstsein (so wie Sekundenschlaf kann man sich das gut vorstellen).
613 schien ein wenig abwesend oder nachdenklich als Lotus sie ansprach. Obwohl er sich nicht bemüht hatte, unentdeckt zu bleiben, hatte die Kätzin ihn nicht bemerkt, bevor er sich kenntlich gemacht hatte. Es verwunderte ihn nicht - immerhin war heute genug geschehen, dass der Stoff zum Nachdenken wohl nicht so schnell ausgehen würde. Lotus selbst war schon immer wieder in solche Phasen abgedriftet, wo er sich selbst erst nach Minuten dabei ertappte, völlig unaufmerksam in die Luft zu starren. Konzentrieren, zumindest über einen längeren Zeitraum, war heute einfach nicht mehr möglich gewesen. 613's Reaktion auf Lotus eintreffen fiel dennoch eher vage aus. Zunächst wurde Lotus intensiv mit skeptischen Blick gemustert, unfassbar willkommen schien er in jedem Fall nicht zu sein. Ehrlich gesagt konnte es Lotus ihr kaum verübeln, dass sie ihm mit einer gewissen Distanz entgegentrat. Nicht zuletzt hatte er in ihrer Anwesenheit einen Streit mit einer Wächterin begonnen, ausgehend von einer politischen Meinungsverschiedenheit - etwas, das bei den Laborkatzen oder zumindest den "wichtigen" Laborkatzen nicht wirklich auf viel Toleranz stieß. Trotz allem war die Politik nur ein vorgeschobener Grund gewesen. In Wahrheit hatte 278 sich verbal in die Ecke drängen lassen, bis sie es wohl für nötig gehalten hatte, körperlich zu werden, um ihr Gesicht zu wahren. Ob das 613 erkannt hatte? Auf der anderen Seite war sie ebenfalls mies abserviert worden von 278 arrogantem Auftritt. Lotus war generell unsicher, wie die Grundeinstellung der weißen Katzen überhaupt war. Ihm erschien es zwar eher so, als wäre sie nicht unfassbar begeistert von der Grausamkeit der 001-Anhänger, aber auf der anderen Seite brachte sie auch Lotus' Vision wenig Enthusiasmus entgegen. Vielleicht lag das aber auch an der Situation? "Du siehst ein wenig betrübt aus." begann Lotus zögernd. "Willst du darüber reden? Wenn ich traurig war oder deprimiert oder unglücklich, wünschte ich mir immer, ich hätte jemanden, dem ich davon erzählen kann, jemanden, der mir zuhört..." Nach einer kurzen Stille fügte er noch hinzu: "Du musst aber nicht, wenn du nicht willst."
Lotus fokussierte seine Augen auf Pansa. "Eingerostet oder nicht, die Staubkatzen haben mich ja doch etwas zugerichtet...", gab er zu bedenken. "Aber der Trick hilft dir jetzt nicht mehr", schmunzelte er mit Blick auf die Wolke. Langsam begann Lotus sich nach links um Pansazu herumzubewegen. Ein paar Mal täuschte er einen Sprung in ihre Richtung an, versuchte Pansas Reflexe zu testen. Der Staub am Boden machte es jedoch schwer, richtig schönen Halt für einen sicheren Absprung ohne Anlauf zu finden. Deshalb entschied sich Lotus für eine andere Strategie. Er täuschte einen hohen Satz von einer Position an, bei dem man auf einen hohen Sprung leicht reagieren konnte, führte dann jedoch einen kurzen, möglichst schnellen flachen aus. Er wusste, dass er damit Pansa nicht erreichen würde, zumal der rutschige Boden verhinderte, dass Lotus seine ganze Sprungkraft ausnutzen konnte. Doch anstatt direkt vor Pansa auf den Beinen zu landen, warf er sich auf den Boden und schlitterte schwungvoll mit dem Rücken voraus in sie hinein, die Beine bereit, sich gegen Konterschläge zu verteidigen oder auf Öffnungen in ihrer Verteidigung zu reagieren.
Lotus wurde ein wenig aus seiner Nachdenklichkeit gerissen, als er erstaunt feststellte, wie groß die Enttäuschung war, die aus 093's Augen schien. Gerne hätte er ihr geholfen, ihr das sichere Erfolgsrezept zur Zufriedenheit mitgeteilt. Doch die Frage nach dem Sinn des Lebens war eben nicht einfach universal beantwortbar. Warum waren die Dinge wie sie waren? Es war schwer zu akzeptieren, dass vielleicht einfach keine Antwort auf dieses Problem existierte, das ein sterbliches Wesen jemals begreifen konnte. Und obwohl 093 praktisch unsterblich war, so wie sie es zumindest darstellte, war es für sie wahrscheinlich noch schwerer zu akzeptieren als für Lotus. 093 antwortete schließlich mit ruhigen Worten. Ihr Rat ergab durchaus Sinn. So hatte Lotus das ganze noch nicht gesehen. Es war bislang nicht seine Absicht gewesen, 'Anhänger' zu finden, Katzen zu finden, die für ihn kämpften. Es war von Anfang an der Plan gewesen, andere dazu zu bewegen, mit ihm zu kämpfen, für das gleiche oder ein ähnliches Ziel: Glück durch Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit. Aber wahrscheinlich wäre er das ganze falsch angegangen - er hätte tatsächlich nur nach Mitstreitern gesucht, die auch dieselben Ideale vertraten. Was aber war mit Katzen, deren Motiv Rache war? Warum sollte er sie nicht auf seine Seite ziehen und am Ende, wenn der Sturm abgeflaut war, konnte er sich immer noch darum kümmern, dass sie im Nachhinein noch unnötig das Blut der Gegenseite vergossen. Natürlich kämpfte jeder für sich, etwas anderes kannte man im Labor nicht wirklich - aber nicht alle kämpften um das gleiche Glück. "So habe ich das noch nicht betrachtet. Zumindest Teile davon." Der frische Input brachte Lotus Gehirn wieder in Schwung. Vielleicht war er das Problem von der falschen Seite her angegangen. Sich zu fragen, wie und warum er zu dem Punkt, an dem er sich jetzt befand, gelangt war, erfasste doch überhaupt nicht das Motiv. Es war nicht mehr als ein unwichtiger Punkt, der zufällig zwischen dem Start und dem gewünschten Ziel lag. "Weißt du, 001..." begann Lotus schließlich nach einer längeren Stille. "Ich kann deine Frage nach dem Sinn des Lebens nicht mit Sicherheit beantworten, wie gesagt. Es gibt vielleicht auch keine ultimative Antwort, denn es liegt vielleicht an einem selbst, dem Leben einen Sinn zu geben, wer weiß. Lotus hielt einen Moment inne. "Das Licht des Himmels brennt in jedem von uns. Wir mögen in uns selbst nicht sehen, doch es ist uns auch nicht gegeben, um unser eigenes Verlangen nach dem Licht zu stillen. Dieses Feuer spendet nur denen Wärme, denen wir es schenken. Wenn wir anderen helfen, wenn wir andere trösten, wenn wir uns mit anderen freuen. In diesen Momenten nimmt der Engel, der uns bewohnt, Form an - wir selbst können ihn nicht sehen, doch andere können ihn zumindest spüren." "Das ist das Feuer, das mir die Kraft gibt, 093. Ich kämpfe nicht für meine Freiheit, für meine Rache oder für meine Macht. Ich kämpfe dafür, in Frieden zusehen zu können, wie die Jungen der Zukunft über den Betonboden tollen, furchtlos, denn es gibt nichts, vor dem sie sich fürchten müssten. Ich kämpfe für den glücklichen Blick der Väter und Mütter dieser Jungen. Ich kämpfe dafür, dass die weinende Katze und der verletzte Kater nicht mehr alleine in der Ecke sitzen, sondern dass sie ein Engel des Trostes findet. Jenes Licht des Himmels zu sehen, ist das, wofür ich kämpfe. Und ich weiß, dass es in den unbeschwerten Jungen, den zufriedenen Eltern und den Getrösteten heller leuchtet, freier, denn anders als die Katzen des Labors heute halten sie ihr Licht nicht gierig zurück und verbergen es vor den anderen, weil sie Angst haben, sich als schwach zu zeigen, weil sie denken, dass Stärke und Empathie einander ausschließen. In jenen glücklichen Katzen wird sich dann das Feuer, das jetzt in mir brennt, reflektieren und noch wärmer zu mir zurückkehren, und die Aussicht darauf gibt mir die Kraft, dafür zu kämpfen." "Ich sehe es auch in dir, 093, dieses Licht des Himmels. Du bist nicht wie die, die das Licht in einem dunklen Raum einschließen, wo es nicht wachsen und gesehen werden kann, auch nicht von den Besitzern. Und auch wenn für dich die Aussicht auf mehr von diesem Licht, die Aussicht darauf, dem Himmel näher zu sein, nicht ausreicht, um an meiner Seite dafür zu kämpfen, wünsche ich dir, dass du das Licht eines Tages findest. Lotus machte eine Pause, gab 093 ein wenig Zeit, seine Worte aufzunehmen und zu beurteilen. Schließlich sagte er: "Ich weiß nicht, ob das deine Frage besser beantwortet... Das ist nur, wie ich die Dinge sehe und woran ich glaube. Der Sinn, den ich meinem Leben gegeben habe. Denk darüber nach. Vielleicht findest ein etwas, mit dem du deine Dunkelheit erleuchten kannst.
(Out: Ich glaube, es wär jetzt ein toller Zeitpunkt, jetzt oder in ein zwei Posts die Szene zu beenden, was meinst du? Ich finde aber mit Alma unterhalten sehr angenehm, deshalb: Wollen wir einfach direkt ne neue Szene aufmachen, später am Abend? So, dass halt einfach ein wenig Zeit vergangen ist, bis die beiden sich wieder treffen.)
Pan's Witze waren auch schon mal besser gewesen als heute. Offensichtlich hätte er sich schon von seiner Pfote verabschieden können, wenn sie nicht nachgewachsen wäre. "Der Kampf, als ich meine Pfote verloren hab, war nicht fair, das weißt du!" Warum lag ihm dieser Vorfall über neun Monde später immer noch so im Nacken. Die einen sahen immer noch den Verräter Lotus, weil er versucht hatte, einem Kätzchen das Leben zu retten, die anderen machten sich darüber lustig, dass er den absolut ungleichen Kampf damals verloren hatte - warum konnten die Laborkatzen ausgerechnet in diesem Fall nicht einfach mal die Vergangenheit ruhen lassen? Wenn Katzen starben, wurden sie innerhalb von Stunden vergessen. Würde heute jemand das Labor besuchen, würde ihm jetzt schon nicht mehr auffallen, dass 001, die wohl wichtigste Katze im Labor, gestorben war - die Katzen verhielten sich nach ein paar Stunden schon wieder, als wäre nichts gewesen. Ähnlich war es damals mit seiner Mutter gewesen; kaum einer hatte überhaupt mitbekommen, dass sie getötet worden war. Eine unglaubliche Gesellschaft, die hier im Labor herrschte. Pansa eröffnete den Kampf mit einem flinken Maneuver. Ehe sich Lotus versah, hatte sie sich schon auf seinen Rücken geworfen und versuchte, Lotus mit ihrem Gewicht umzuwerfen. "He!", meckerte Lotus luftschnappend, als er Double-F's Krallen in seinem Fell spürte. "Übungskampf mit Krallen seit neuem, oder was?" Er gab dem Momentum des Sprungs nach und sie fielen beide nach rechts um. Lotus rollte sich am Boden direkt weiter und versetzte Pansa mit seinen Hinterbeinen einen kräftigen Stoß in den Bauch, den sie nach dem Fall noch zu ihm gewandt hatte. Dann bemühte er, sich zügig wieder aufzurichten. Der Staub, der durch den Fall aufgewirbelt worden war, erinnerte Lotus an 278 und die Staubkatzen. Konnte heute nicht einer mal fair spielen?
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